Der Kirschbaum
Er ist nicht mehr da, der Kirschbaum.
Als wir vergangene Woche montags beim Frühstück saßen und ihn noch von unserem Fenster aus sahen, überaus reich mit Kirschen behangen, dachten wir nicht, dass es so enden würde. Wir hatten uns Hilfe geholt und die Kirschen sollten nun mit drei Mann geerntet und im Fass zu Maische werden, damit daraus ein guter Kirschschnaps gebrannt werden könnte. Es hingen einfach zu viele Kirschen am Baum, um sie zu Kuchen oder Marmelade zu verarbeiten, auch einkochen oder einfrieren alleine war bei dieser Menge nicht möglich. Deshalb Schnaps, hält lange und ist immer ein willkommenes Geschenk bei Geburtstagen und Einladungen aller Art.
Mein Mann stellte eine hohe Leiter an den Baum und drückte sie in eine Astgabel, um ihr guten Halt zu verschaffen. Da krachte es und die Hälfte des Baumes brach ab. Zum Glück konnte mein Mann noch zur Seite springen. Es hätte sonst schlimm geendet.
Wir waren völlig vor den Kopf gestoßen und standen fassungslos vor dem halben Baum. Was nun? So konnte er nicht stehen bleiben. Beim nächsten starken Regen und Sturm würde er bestimmt auf die Seite kippen – zumal vor einigen Jahren bei einem Sturm bereits ein großer Ast abgebrochen war. Also stand fest: „Er muss gefällt werden.“
Doch zuerst wurden die Kirschen vom den bereits am Boden liegenden Ästen und Zweigen gepflückt. Das war eine ganze Menge. Die restlichen Äste wurden dann nach und nach mit der Motorsäge vom Stamm abgetrennt und auf der Wiese abgepflückt. Das Pflücken war so jedenfalls bequemer, als auf dem Baum oder der Leiter stehend, und ging gut voran. Bis zum Abend war ein großer Teil der Kirschen im Fass.
Aber der dicke Stamm und die Wurzel waren noch da. Wie sollte es weitergehen. Wir riefen einen Freund an, der sich mit sowas auskennt und der uns gleich am nächsten Tag helfen konnte. Er rückte mit einem kleinen Bagger an. Zuerst wurde der Baum noch weiter gekürzt und als nur noch der Stamm übrig war, versuchte er den Baum herauszuziehen. Zuvor hatten die fleißigen Männer die Wurzeln freigelegt. Aber der Baum hat sich gesträubt seinen Platz zu verlassen. Der breite Gurt riss, mit dem der Baum am Bagger befestigt war. Es musste noch weiter gegraben und ein Teil der armdicken Wurzeln mit der Motorsäge durchtrennt werden. Nach längerem rütteln und zerren lag der Stamm dann auf der Wiese und es ging daran ihn zu zerteilen.
Nun wächst Gras, dort wo er stand. Ein bisschen wehmütig ist mir schon dabei. Er war immer da, solange ich denken kann. Schon als Kind habe ich in seinem Schatten gespielt und die knackigen Kirschen gegessen. Meiner Mutter lag der Baum besonders am Herzen. Ihr Vater hatte ihn gepflanzt, bevor er in den Krieg musste und von dort nicht wieder heimkam. Für sie war der Kirschbaum eine Erinnerung an ihn.
Eine Scheibe des Stammes habe ich mir zur Erinnerung behalten. Außerdem wird sein Holz uns im Winter von außen wärmen. Und ein Schnäpschen von seinen Früchten von innen ebenso.
Das sagt ihr